Geld und Geist

Von Daniel Buess und Erhard Sigrist

Wirtschaft «Liebiwyl», drei Uhr nachmittags. In einer verrauchten Ecke sitzen zwei Gestalten. Von ihrem Stammtisch aus beobachten sie eine Weile das Geschehen in der Wirtsstube. Die Feldschützen haben soeben eine Runde bestellt, und der alte Säufer neben der Theke lallt wie üblich vor sich hin. Da hebt der Bauer seinen Kopf und schwenkt das Glas.

Bauer: Prost.

Prolet: Prost! Du wolltest etwas über Kunst-förderung sagen.

Bauer: Ja, genau. Durch Subventionen kann der Staat immer nur die Betriebsamkeit des Kunstschaffens, nie aber die schöpferischen Kräfte am Leben erhalten.

Prolet: Du kannst zwar die staatliche Kunstförderung durchaus kritisch betrachten, aber ihre Errungenschaft ist doch, dass sie prinzipiell allen den Zugang zur Kunst ermöglicht.

Bauer: Dass der Staat Geld locker macht für etwas, das eigentlich unnötig ist, sollte nicht als Selbstverständlichkeit angesehen werden. Kunst ist zwecklos. Daraus bezieht sie ihren besonderen Status. Aber gerade das ist es, was viele heutige Künstler dazu verleitet, sich selbst und den Wirkungsgrad von Kunst zu überschätzen.

Prolet: Die Mehrheit der Bevölkerung benötigt keine Kunst, da bin ich mit dir einverstanden, denn mit Kunst hat man ja noch nicht gefressen. Kunst erfüllt keinen Zweck und soll auch keinen erfüllen, sie ist vielmehr die Leichenfleddererin, die das Mausoleum entweiht.

Bauer: Haut mit der Faust auf den Tisch. Zeitgenössische Kunst ist weder suspekt noch subversiv, sie langweilt höchstens! Dass es mit Hirschhorn anders gekommen ist, liegt nicht so sehr an seiner Kunst, die vielleicht andernorts überhaupt keine Wellen geschlagen hätte, sondern vielmehr an seiner speziellen Situation. Ein namhafter Künstler tritt mit finanzieller Unterstützung
 

der Pro Helvetia im Ausland als Repräsentant der Schweizer Kultur auf. Der Rahmen dieser Ausstellung sowie der Hintergrund ihrer Finanzierung hat die offizielle Repräsentation und ihre Konsequenzen sozusagen zementiert. Es handelt sich um einen simplen Interessenkonflikt. Mit Kunst hat das nur zufällig zu tun. In Sachen Provokation unterliegt die Kunst der Dominanz der Unterhaltungs-industrie.

Prolet: Ja, wenn du überall besser sein willst als der Rest, verlierst du das Essentielle aus den Augen. Wettbewerb allein ist kein ausreichender Entwurf für die Zukunft, das wissen wir nicht erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Und dies ist ja gerade das Problem, dass alle gewinnen wollen. Aber Siege erzeugen keine grundlegenden Erkenntnisse. Man muss endlich damit aufhören, gewinnen zu wollen. Das gilt im besonderen für die Kunst, die sollte aus ihrem Scheitern Gewinn ziehen.

Bauer: Politische Kunst muss damit rechnen, dass sie unter die Räder kommt. Eine Freiheit, die per Dekret gewährleistet ist, ist keine wirkliche Freiheit. Es wäre paradox, eine streitbare politische Kunst zu postulieren und gleichzeitig zu verlangen, dass die politischen Machthaber nicht auf diese Kunst reagieren dürfen. Man kann ja auch nicht einem Büffel ins Gesicht spucken und dann sagen: du darfst mich nicht angreifen, weil du der Stärkere bist.

Prolet: Aber im Gegensatz zur Ordnungsmacht der Politik folgt die Kunst dem Prinzip Chaos. Die Prinzipien von Macht-politik und Kunst sind unvereinbar und das Verheerendste ist die Kombination beider: der Politiker als Künstler. Wie zum Beispiel dieser dichtende Pyromane im antiken Rom oder dieser verhinderte Kunststudent mit Schnauz.

Bauer: Die Parlamentarier in Bern sind zweifellos keine Kunstfreunde. Sie repräsentieren die gesellschaftliche Realität. Nur die Künstler brauchen die Kunst. Sie leben von der Kunst, wenn auch grösstenteils schlecht. Gut gibt es den Staat. Die Freiheit der Künstler ist eine Freiheit auf Staatskosten. Und wenn der Staat nun einwandfrei legal beschliesst, das
 

Budget von Pro Helvetia ein bisschen zu kürzen, so geht gleich ein lämmerhaftes Protest-geschrei los: „Die künstlerische Freiheit steht auf dem Spiel!“ Lächerlich. Wenn überhaupt etwas auf dem Spiel steht, so sind es die Privilegien einer selbstgefälligen Kunst-Kaste.

Prolet: Kunst ist Luxus, zündet sich eine Zigarre an, sie ist suspekt und gefährlich, da sie in einer ökonomisierten Zeit das Privileg besitzt, mit Zeit unzweckmässig umzugehen. Kunst ist Störung, die wie der Konsum von Drogen das Funktionieren beeinträchtigt, daher wird unter anderem auch mit Repression gegen sie vorgegangen. Hustet.
Aber der Künstler lebt eben nicht von der Kunst, er lebt durch die Kunst, und er nimmt sich seine Freiheit, gleichgültig, ob sie durch ein System gewährleistet ist oder nicht.

Bauer: Kunst ist längst keine Störung mehr und kann es auch nicht sein. Betrachtet sein halbleeres Glas. Die Künstler müssen sich ihre Niederlage eingestehen. Das wäre vielleicht der erste Schritt zu einem wirklich neuen und innovativen Kunstverständnis. Zu diesem Kunstverständnis gehört wohl auch, dass die Künstler sich Gedanken machen über die finanziellen Bedingtheiten ihrer Kunst.
Um auf die Demokratie zurückzukommen – das Dumme an ihr ist eben, dass sie funktioniert. Die Mehrheit bestimmt. Ich sage nicht, dass die Mehrheit immer Recht hat. Demokratische Beschlüsse sind strittig, um sie soll gestritten werden, Opposition wird ja zugelassen, und eigentlich spricht es für unsere Demokratie, dass die Kunstförderung auch mal sabotiert werden kann.

Prolet: Anders als eine Budgetkürzung ist Sabotage eine Form von Widerstand, die meist unter einem repressiven System auftritt, das keine Beteiligung von Minderheiten zulässt. Aber eine Demokratie, die nur noch verwaltet wird, gehört einbalsamiert und ins Mausoleum gestellt. Dort kann man ihr Erbe bewahren und sie beweihräuchern.

Bauer: Unsere Demokratie regelt das Zusammenleben. Ich finde das schon reichlich viel. Ich brauche keinen Staat, der
  mich ideologisch in die Pflicht nimmt. Es gibt auch ein Leben neben der Politik. Je weniger Politik, desto besser. Man kann nicht schlafen, wenn man die ganze Zeit an den Schlaf denken muss.

Prolet: Eine Demokratie setzt eine gewisse Streitkultur voraus. Die politische Linke, sofern sie diesem Namen noch gerecht wird, betreibt seit Jahren eine Konfliktvermeidungsstrategie. Aber wer nur noch in Ruhe gelassen werden möchte, der sollte sich ins Grab legen.
Wenn die Parlamentarier in Bern von einer Ausstellung in Paris erfahren und darauf beschliessen, das Jahresbudget der Pro Helvetia um eine Million zu kürzen, dann zeigt dies, dass für unsere Parlamentarier Kultur nicht mehr als ein Budgetposten ist.

Bauer: Du tust so, als wäre Macht etwas Statisches. Aber Macht ist ein Kräftespiel. Blocher, der notorische Unruhestifter, ist für die Demokratie eine Chance. Endlich ein Unbequemer an oberster Stelle. Hirschhorns Anti-Blocher-Reflex hat viel mit Neid zu tun. Blocher macht deutlich, dass der kritische Einspruch heute von rechts kommt und nicht von links. Das gefällt Hirschhorn nicht.

Prolet: In Hirschhorns Fall ging es doch einfach um eine längst geplante Budgetkürzung, wobei der Skandal um die Ausstellung Hirschhorns das fehlende Argument lieferte. Hirschhorn als Künstler – und nicht nur er – leidet doch am Funktionieren der schweizerischen Demokratie ohne nennenswerte Störungen.

Bauer: Hirschhorn vertritt eine Ideologie, die auf Konfrontation und Ausschliesslichkeit setzt. Hirschhorn und Blocher sind geistige Zwillingsbrüder.

Prolet: Gut, dass du nicht Klone gesagt hast... Aber wenn es ums Geld geht, ist eben Schluss mit Gemütlichkeit.

Bauer: Komm, trinken wir noch einen.

Prolet: Noch eine Runde!

Wirt: Zahlen?